Warum dein Berufsweg die größten Möglichkeiten bietet, etwas in der Welt zu verändern und wie du das Beste aus deiner Karriere machen kannst.
Von Benjamin Todd, ursprünglich veröffentlicht auf 80,000 Hours.
Wenn Menschen über ethisches Leben nachdenken, dann gehen ihnen meist Dinge wie Recycling, Fairtrade oder ehrenamtliches Engagement durch den Kopf. Das lässt jedoch etwas immens wichtiges aus: Die Wahl des Berufspfades.
Wir glauben, dass deine ethische Entscheidung darüber, was du mit deiner Karriere anfängst, die wichtigste deines Lebens ist.
Der erste Grund dafür ist der gewaltige Zeitaufwand, über den wir hier sprechen: Innerhalb deiner beruflichen Laufbahn stehen dir rund 80.000 Stunden zur Verfügung: 40 Stunden pro Woche, 50 Wochen pro Jahr — und das ganze 40 Jahre lang. Ab dem Erwachsenenalter verbringst du fast die Hälfte deiner Wachzeit in deinem Beruf — das ist mehr als die Zeit, die Essen, Hobbys und Netflix zusammen einnehmen.
Sofern du also nicht zufällig sehr viel Geld geerbt hast, ist diese Zeit die größte Ressource, die du hast, um die Welt zum Positiven zu verändern.
Das heißt, wenn du die positive Wirkung dieser Stunden nur ein wenig erhöhst, kannst du so wahrscheinlich mehr Gutes tun als mit Veränderungen in anderen Bereichen deines Lebens.
Oder aus einem anderen Winkel betrachtet: Es lohnt sich, sehr viel darüber nachzudenken, wie man den eigenen Berufsweg auch nur ein wenig verbessern kann. Wenn du beispielsweise die Wirkung deiner Karriere um 1 % steigern könntest, wären bis zu 800 Stunden gerechtfertigt um herauszufinden, wie du das erreichen kannst.
Jeder Punkt steht für eine der 80.000 Stunden deiner Berufslaufbahn. Du kannst die Beitragsreihe zu unseren Kernideen in unter 4 lesen.
Und das bringt uns zum zweiten Grund, warum deine Berufswahl so wichtig ist: Einige Berufe geben dir die Möglichkeit, weitaus mehr Gutes für die Welt zu tun als andere – in einem viel größeren Ausmaß, als den Menschen bewusst ist.
Tatsächlich werden wir argumentieren, dass einige Karrierewege, die dir offen stehen, wahrscheinlich 10-, 100- oder sogar 1.000-mal mehr Wirkung haben als andere. Umso wichtiger ist es, dass du intensiv über deine Karriere nachdenkst.
Warum unterscheiden sich Berufswege so stark in ihrer Wirkung?
Wirkungsvergleiche zwischen Berufslaufbahnen: eine Heuristik
Wir denken, dass die Wirkung, die man in verschiedenen Berufslaufbahnen haben kann, von drei Hauptfaktoren abhängt:
- Wie dringlich die Probleme sind, auf die du dich konzentrierst
- Wie groß der Beitrag ist, den du zur Bewältigung dieser Probleme durch deinen Beruf leisten kannst
- Deine persönliche Eignung für diesen Werdegang
Unserer Erfahrung nach unterscheiden sich deine Möglichkeiten bei jedem dieser drei Faktoren wahrscheinlich sehr stark voneinander.
Um diese Behauptung aufstellen zu können, sind einige Argumente erforderlich. Als wir zum ersten Mal auf diese Argumente stießen, waren wir uns nicht sicher, ob sie ausreichen würden, um die Behauptung zu stützen. Im Laufe der Zeit sind wir jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass trotz der großen Unsicherheiten, die mit diesen Einschätzungen verbunden sind, tatsächlich große Unterschiede bestehen. Wir stellen die Argumente in verschiedenen Artikeln auf unserer Website vor (insbesondere in unserer Beitragsreihe für Fortgeschrittene), aber hier ist eine kurze Zusammenfassung unserer Schlussfolgerungen:
- In der Regel wird davon ausgegangen, dass man die Bedeutung verschiedener globaler Probleme wie Klimawandel oder Bildungsreformen nicht vergleichen kann und man einfach das tun sollte, was einem am Herzen liegt. Aber mit einigen groben Schätzungen kann man zeigen, dass einige Probleme viel größer sind als andere und einige viel stärker vernachlässigt sind, z. B. erhält die Bekämpfung des Klimawandels das 100- bis 1.000-fache der Mittel für die Verhinderung einer Pandemie von größeren Ausmaßen als COVID-19. Je größer und vernachlässigter ein Problem ist, desto größer sind die Chancen, dass eine zusätzliche Person viel bewirken kann. Das bedeutet, dass man durch die Konzentration auf diese großen, aber unkonventionellen Themen — wie künstlich erzeugte Pandemien, KI-Ausrichtung oder den Kampf gegen die Massentierhaltung — eine viel größere Wirkung erzielen kann.
- Wenn wir daran denken, mit unserer Karriere etwas Gutes zu tun, denken viele Menschen zuerst daran, Arzt oder Lehrer zu werden, oder auch für eine Wohltätigkeitsorganisation zu arbeiten. Aber wenn man offen für weniger offensichtliche Wege ist, ist es oft möglich, einen größeren Beitrag zu leisten und mehr Wirkung zu erzielen — auch wenn der Job üblicherweise nicht mit dem sozialen Bereich in Verbindung gebracht wird. Wenn du beispielsweise die Politik beeinflusst, kannst du über hunderte Male mehr Ressourcen bestimmen als in den meisten üblichen “Gutmenschen”-Karrieren.
- Die produktivsten Menschen in einem Berufsfeld erreichen in der Regel weit mehr als der Durchschnitt. Wenn du also die besten Methoden anwendest, um herauszufinden, was dir am meisten liegt, verschiedene Wege erkundest und frühzeitig in deine Fähigkeiten investierst, kannst du wahrscheinlich etwas finden, in dem du viel besser bist als der Durchschnitt und deine Wirkung so um ein Vielfaches steigern.
Multiplikatoreneffekte bei der Berufswahl
Der Natur ihrer Definition nach multiplizieren sich die drei Faktoren eher, als dass sie sich nur addieren.
Wenn du schließlich ein Problem findest, das zweimal so groß oder vernachlässigt ist, einen zweimal so großen Beitrag dazu leistest und einen Weg findest, bei dem deine persönliche Eignung zweimal so hohe Erfolgschancen bedeutet, dann wirst du (wenn alles andere gleich bleibt) erwartungsgemäß achtfache Wirkung erzielen.
Die Rechnung impliziert unter anderem, dass ein Karriereweg, der bei einem der Faktoren einen Wert nahe Null erreicht, eine geringe erwartete Wirkung hat. Das bedeutet, dass es sehr einfach ist, den größten Teil der eigenen Wirkung “zu verlieren“, wenn man nicht alle Faktoren beachtet. Sie impliziert aber auch, dass sich Verbesserungen in einer Dimension mit Verbesserungen in den anderen Dimensionen multiplizieren werden.
Wir denken, trotz der enormen Unsicherheiten, dass einige Wege, die dir offen stehen, wahrscheinlich in jeder dieser Dimensionen 10- oder sogar 100-mal vielversprechender sind als andere — was es plausibel macht, dass du durch die reflektierte Berufswahl eine 100- bis 1.000-fach größere Wirkung erzielen kannst als durch eine schnelle, unüberlegte Berufswahl.
In der Praxis ist es oft nicht möglich, eine Option zu finden, die in allen Dimensionen besser ist. Wenn du z. B. dein Feld änderst, hast du möglicherweise weniger Sicherheit bezüglich deiner Eignung.
Es gibt auch einige Gründe, Behauptungen zu übergroßen Unterschieden skeptisch gegenüberzustehen, die wir an anderer Stelle in dieser Beitragsreihe behandelt haben, z. B. Regression zum Mittelwert und epistemische Demut. Alles in allem denken wir jedoch, dass es oft möglich ist, einen Weg zu finden, der 10-mal wirkungsvoller ist als der, auf den du dich derzeit konzentrierst, und manchmal sogar über 100-mal wirkungsvoller.
Es ist leicht, diese Unterschiede zu übersehen. Intuitiv teilen die Menschen Berufe oft in solche ein, die "Gutes tun" (z. B. Ärztin, Sozialarbeiter, Lehrerin), solche, die neutral sind (z. B. Buchhalter), und solche, die unethisch sind (z. B. Ölbaronin).
Dahinter steckt eine weit verbreitete psychologische Voreingenommenheit, die als "scope neglect“ (zu deutsch: Missachtung des Maßstabs) bekannt ist. 100 Menschen zu helfen, fühlt sich in etwa so befriedigend an wie 1.000 zu helfen, auch wenn letzteres 10-mal mehr Wirkung hat.
Wenn aber selbst unter Berufen mit positiver Wirkung einige 10- oder 100-mal wirkungsvoller sind als andere, ist es wichtig zu versuchen, Voreingenommenheiten zu überwinden und diese Unterschiede ernst zu nehmen. Es könnte bedeuten, 100-mal mehr Menschenleben zu retten, 100-mal mehr Kohlenstoffemissionen zu reduzieren oder 100 Mal größere Fortschritte bei der Verringerung der größten Risiken für die Menschheit zu erzielen.
Diese Unterschiede mögen nicht die einzigen ethisch relevanten Faktoren sein und jeder hat im Leben auch andere Prioritäten als moralische, aber sie sind auf jeden Fall wichtig.
Man kann ihre Bedeutung auch anders erkennen: Wenn es möglich ist, eine Option zu finden, die 100-mal wirkungsvoller ist als die Option, die du derzeit für die beste hältst, dann würdest du in 10 Jahren auf diesem wirkungsvolleren Berufsweg das erreichen, wofür du sonst 1.000 Jahre gebraucht hättest. Du könntest dann die nächsten 30 Jahre damit verbringen, zu tun, was dich am glücklichsten macht, und hättest trotzdem viel mehr Gutes getan, als du es sonst getan hättest.
Was aber am wichtigsten ist: Wenn du 100 Menschen statt 10 helfen kannst, bedeutet das für die 90 zusätzlichen Menschen eine Menge.
Im Mindesten ist es für eine typische Person mit Hochschulabschluss in einem reichen Land möglich, im Laufe ihrer Berufslaufbahn die Leben dutzender anderer Menschen zu retten, indem sie an sorgfältig ausgewählte Wohltätigkeitsorganisationen spendet. Das zeigt unser Artikel darüber, wie jeder, unabhängig von Beruf und Ausbildung, etwas bewirken kann. Wenn du zusätzlich noch bereit bist, deine Karriere zu ändern, denken wir, dass es möglich ist, nochmal viel mehr Gutes zu tun. Kaum eine andere Entscheidung im Leben hat so große Auswirkungen.
Fallbeispiel: Karrierewechsel vs. Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks
Jetzt wird klar, warum die Berufswahl eine so wichtige Entscheidung für dich ist, verglichen mit Lebensstiländerungen wie Recycling oder der Verringerung deines CO2-Fußabdrucks.
Der typische Brite stößt pro Jahr fünf Tonnen CO2 aus, der typische Amerikaner 15 Tonnen (Tendenz sinkend).
Selbst wenn du also dein Leben völlig umstellst, um deinen CO2-Fußabdruck auf Null zu reduzieren, kannst du im besten Fall “nur” fünf oder 15 Tonnen Emissionen pro Jahr vermeiden.
Im Gegensatz dazu kannst du mit einer Spende für die wirksamsten Lösungen für den Klimawandel — z. B. gezielte Lobbyarbeit oder Forschung und Entwicklung im Bereich grüner Technologien — Emissionen (im Erwartungswert) für weniger als 10 Euro pro Tonne reduzieren.
Eine Spende von etwa 1.000 Euro pro Jahr hätte also wahrscheinlich die zehnfache Wirkung verglichen mit der Reduzierung des eigenen Fußabdrucks auf null. (Plus, für die meisten Menschen wäre es viel einfacher und billiger!)
Und wenn du auch deine Karriere nutzt, um direkt an diesen Lösungen zu arbeiten, ist das für die Sache viel mehr wert als 1.000 Euro pro Jahr.
Wenn du also deine berufliche Laufbahn änderst, ist es möglich, die CO2-Emissionen um das Hundert- oder sogar Tausendfache zu reduzieren, verglichen mit einer Änderung deines Lebensstils.
Dies ist möglich, weil du dich in deinem Beruf auf die wirksamsten Möglichkeiten zur Verringerung der Emissionen in der ganzen Welt konzentrieren kannst, anstatt dich auf Änderungen deiner persönlichen Gewohnheiten zu beschränken.
Wir sind der Meinung, dass es noch größere und vernachlässigtere Probleme als den Klimawandel gibt, sodass du wahrscheinlich sogar noch mehr Gutes für die Welt tun kannst, wenn du dich auf diese Themen konzentrierst.
Wenn du auf der Welt etwas bewirken willst, ist deine wichtigste Entscheidung, deine Berufswahl, gefolgt von der Frage, wohin du spendet und welche Ideen du verbreitest, gefolgt von ehrenamtlicher Arbeit und dem täglichen Konsum.
Der Diskurs darüber, wie man etwas auf der Welt bewirken kann, verläuft jedoch meist genau umgekehrt: Er beginnt mit dem Gedanken, dass „jedes bisschen hilft“, während in Wirklichkeit jedes kleine bisschen eben nur ein bisschen hilft. Wenn du die Möglichkeit hast, konzentriere dich zuerst auf die großen Entscheidungen.
Wenn es so große Unterschiede gibt, warum sind sie nicht weithin bekannt?
Es mag unglaublich klingen, dass manche Berufe, die dir offen stehen, 100- oder 1.000-mal so viel Gutes für die Welt tun können als andere, vor allem, wenn sie ähnlich befriedigend für dich sind. Wir sind sicherlich nicht zu 100 % sicher, dass das stimmt, aber wir sind zuversichtlicher geworden, seit wir die Argumente zum ersten Mal gehört haben.
Wenn es diese Unterschiede wirklich gibt, warum sind sie dann nicht weithin bekannt?
Wir vermuten den Grund darin, dass unser Verständnis eines ethischen Lebens aus einer Zeit stammt, die Hunderte, wenn nicht Tausende von Jahren zurückliegt, und dass es nicht mit der Macht, die viele von uns heute haben, Schritt gehalten hat.
Die enormen wirtschaftlichen und technologischen Errungenschaften der industriellen Revolution haben dazu geführt, dass heute viele einfache Bürger reicher Länder über ein Ausmaß an Reichtum und eine Macht verfügen, die in früheren Jahrhunderten dem Hochadel vorbehalten waren.
Unsere Generation kann:
- Das Klima für Tausende von Jahren zerstören oder eine nachhaltige Wirtschaft aufbauen, die einen höheren Lebensstandard für alle ermöglicht.
- Die Massentierhaltung weiter ausbauen oder sie abschaffen.
- Zulassen, dass Technologien wie Atomwaffen alle Zivilisation auslöschen, oder eine Zukunft einläuten, die besser ist als alles, was wir heute vorstellen können.
Noch in den 1940er Jahren sahen die Dinge anders aus. Mit Blick auf die Zukunft spricht vieles dafür, dass diese entscheidenden technologischen Weichenstellungen das nächste Jahrhundert zu einem der wichtigsten der Geschichte machen werden.
Und es gibt tatsächlich Berufe, die du ergreifen kannst, um den Lauf der Geschichte in diesen wichtigen Fragen zu verändern.
Unser Ziel ist es, Menschen wie dir zu helfen, ihre neue Macht zu verstehen. Wenn du das Glück hast, deine berufliche Laufbahn selbst bestimmen zu können, kannst du zu großen Fortschritten in den wichtigsten Problembereichen beitragen.
Dieser Weg ist nicht einfach, aber er ist lohnenswert.
Um den besten Weg für dich zu finden, musst du dich informieren, in dich selbst investieren, Risiken eingehen und dich auf harte Kompromisse einlassen.
Wir haben uns oft sehr unsicher gefühlt, was wir tun sollten, und waren überwältigt von der Tragweite der Probleme. Aber wir haben auch Sinn und Befriedigung in unseren Bemühungen gefunden, vor allem, weil sich immer mehr Menschen angeschlossen haben.
Wir haben noch viel zu lernen, hoffen aber, dir mit unserem Wissen helfen zu können, unsere Fehler zu vermeiden und dich auf deinem Weg zu einer erfolgreichen Karriere voranbringen zu können.
Du hast 80.000 Stunden in deiner Karriere. Sorge dafür, dass sie nicht ungenutzt verstreichen.
Weiterführende Lektüre auf 80,000 Hours:
Dieser Artikel ist der erste Teil von 80,000 Hours “advanced series”, die Ideen aus dem “career guide” vertieft. Die gesamte Reihe findest du hier.