Wir arbeiten kontinuierlich an dem Projekt Our World in Data (dt.: Unsere Welt in Zahlen) und stellen „Forschungsergebnisse und Daten zur Verfügung, die uns bei der Bekämpfung der weltweit drängendsten Probleme helfen sollen”.
Unsere Arbeit ist nur dann sinnvoll, wenn Fortschritte im Kampf gegen die ärgsten Probleme, mit denen die Welt und die Menschheit konfrontiert werden, möglich sind. Die Wenigsten glauben, dass wir dabei Fortschritte erzielen. In einer 2015 durchgeführten Studie wurde folgende Frage gestellt: „Denkst du, dass wir als Menschheit insgesamt Fortschritte oder Rückschritte machen oder stagnieren?“ In Schweden glaubten 10 %, dass wir Fortschritte erzielen; in den USA waren es nur 6 % und in Deutschland gerade einmal 4 %.
Welche Zahlen und Daten müssen wir heranziehen, um diese Frage zu beantworten?
Die Frage ist die: Wie hat sich die Welt verändert? Das lässt sich nur beantworten, wenn man sich die Entwicklung, die sie genommen hat, rückblickend anschaut. Die Frage zielt auf die Welt ab — die ganze Welt. Die Antwort muss daher auch alle Menschen berücksichtigen. Die Antwort muss die Entwicklung der weltweiten Lebensbedingungen berücksichtigen — und somit die Geschichte aller Menschen.
Extreme Armut
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Die Weltbank hat ihren Bericht zu Armut und Ungleichheit aktualisiert.Die in diesem Artikel verwendeten Daten sind älteren Datums und in der Vergleichswährung „internationaler $” (Basisjahr 2011) angegeben. Mittlerweile hat die Weltbank ihre Berechnungsmethoden geändert und misst die Einkommen nun in „internationaler $” (Basisjahr 2017). Damit einhergehend ergibt sich eine neue internationale Armutsgrenze — der Wert, ab dem bzw. unter dem ein Mensch als extrem arm gilt: Dieser änderte sich von 1,90 $ (Preise 2011) auf 2,15 $ (Preise 2017). Aber dieser Wert trägt nicht unbedingt zu einem besseren Verständnis darüber bei, was Armut und Ungleichheit in der Welt nun eigentlich sind. Aufgrund der geänderten Einheiten weichen viele der in diesem Artikel aufgeführten Zahlen von den jüngsten Daten ab, die die Weltbank vorgelegt hat. Erfahre mehr über die neuesten Daten der Weltbank zu Armut und Ungleichheit |
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Die weltweite Armut ist eines der größten Probleme unserer Zeit. Ist es möglich, sie zu überwinden? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir weit in die Vergangenheit zurückgehen — ein Zeitraum von 30 oder 50 Jahren reicht dafür nicht aus. Betrachten wir lediglich die Entwicklung zu unseren Lebzeiten, drängt sich leicht der Eindruck auf, dass sich nichts getan hat — weder in den reichen Industrienationen, noch in den armen Entwicklungsländern. Nur zu leicht kommt man zu dem falschen Schluss, dass alles beim Alten geblieben ist und auch immer so bleiben wird.
Betrachtet man allerdings einen längeren Zeitraum, wird einem klar, dass sich sehr wohl einiges bewegt hat. Wir können die Welt verändern. Die heute reichen Nationen waren vor ein paar Generationen bitterarm.
Um den Eindruck einer scheinbar unveränderten Weltsituation gar nicht erst zu erwecken — nämlich den, dass der „reiche Norden“ schon immer besser dastand als der „arme Süden“ — müssen wir 200 Jahre zurückgehen in eine Zeit, während der dramatische Änderungen bewirkt wurden.
Gemäß den Vereinten Nationen gelten Menschen als „extrem arm“, die von weniger als 1,90 $ pro Tag leben. Diese ausgesprochen niedrige Armutsgrenze lenkt den Blick auf die ärmsten Menschen der Welt.
Bei diesen Zahlen werden nicht-monetäre Einkommensquellen berücksichtigt. Für arme Familien — sowohl in der Vergangenheit als auch heute — ist dies wichtig, da viele von ihnen Subsistenzlandwirtschaft betreiben und sich weitestgehend selbst versorgen. Das Maß für „extreme Armut“ berücksichtigt auch die unterschiedliche Kaufkraft in verschiedenen Ländern und wird preisbereinigt für Preisveränderungen im Laufe der Zeit (Inflation). Armut wird in sogenannten „internationalen Dollar“ gemessen. Infolge dieser Anpassungen hat ein Internationaler Dollar dieselbe Kaufkraft wie ein US-Dollar im Jahr 2011.
Die erste Grafik zeigt den geschätzten Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt. Im Jahr 1820 genoss nur eine zahlenmäßig kleine Elite einen höheren Lebensstandard, während der Großteil der Bevölkerung in Verhältnissen lebte, die wir heute als extreme Armut bezeichnen würden. Seitdem ist der Anteil extrem armer Menschen kontinuierlich zurückgegangen. Die Industrialisierung erreichte immer mehr Länder, was zu einem Produktivitätsanstieg führte und immer mehr Menschen den Weg aus der Armut ebnete. 1950 noch lebten zwei Drittel der Weltbevölkerung in extremer Armut. 1981 waren es immer noch 42 %. 2015 — aktuell liegen uns nur Daten aus diesem Jahr vor — ist der Anteil der Weltbevölkerung, die in extremer Armut leben, unter 10 % gesunken.
Die Armutsgrenze von 1,90 $ ist sehr niedrig und bezieht sich auf die Ärmsten der Welt. Die Bekämpfung der Armut spiegelt sich auch in den höheren Armutsgrenzen wider. Egal, welche Armutsgrenze man heranzieht – der Anteil der Menschen, die unterhalb dieser Grenze leben, ist weltweit zurückgegangen (siehe hier).
Das ist ein großer Fortschritt. Für mich als Forscher, der sich schwerpunktmäßig mit Wachstum und Ungleichheit beschäftigt, ist das der vielleicht größte Erfolg überhaupt der vergangenen zwei Jahrhunderte. Er ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass sich die Weltbevölkerung in den letzten zwei Jahrhunderten versiebenfacht hat. Deaktivieren Sie in der Grafik die Option „Relative“, um die Anzahl der Menschen zu sehen, die in Armut lebten und ihr entfliehen konnten. In einer Welt ohne Wirtschaftswachstum hätte eine Versiebenfachung der Bevölkerung zu einem stetig sinkenden Einkommen für jeden geführt. Das hätte genügt, um jeden in extreme Armut zu stürzen. Doch genau das Gegenteil war der Fall. In einer Zeit, in der das Bevölkerungswachstum explodierte, kamen immer mehr Menschen zu Wohlstand und konnten schlimmster Armut entfliehen.
Der Produktivitätszuwachs spielte eine wichtige Rolle, weil dadurch lebenswichtige Güter und Dienstleistungen nicht verknappten. Es gab mehr Lebensmittel, bessere Kleidung und weniger beengte Wohnverhältnisse. Unter Produktivität versteht man den Quotienten aus dem Output unserer Arbeit und dem Input, den wir in unsere Arbeit stecken. Mit wachsender Produktivität profitierten wir von einem steigenden Output bei gleichzeitig niedrigerem Input. Die Wochenarbeitszeit nahm signifikant ab.
Das Wirtschaftswachstum war aber auch in anderer Hinsicht wichtig: Es veränderte das Verhältnis der Menschen untereinander. Während der langen Periode, in der es kein Wachstum gab, war man nur dann besser dran, wenn der andere schlechter dran war. Stichwort: Nullsummenwirtschaft. Das eigene Glück war unseres Nächsten Unglück. Mit dem Wirtschaftswachstum änderte sich das jedoch. Plötzlich war es möglich, dass es einem selbst gut ging und den Mitmenschen auch.
Der Erfindungsreichtum derjenigen, die produktivitätssteigernde Technologien, wie moderne Transportmittel, Produktionsmaschinen oder auch Kommunikationstechnologie entwickelten, bescherte ihnen Wohlstand und Reichtum. Gleichzeitig führte er auch zu steigender Produktivität und steigenden Einkommen der anderen Menschen. Man kann gar nicht genug betonen, wie verschieden das Leben in der Nullsummenwirtschaft im Gegensatz zur Positiv-Summen-Wirtschaft ist.
Bedauerlicherweise konzentriert sich die Berichterstattung unserer Medien fast ausschließlich auf Einzelereignisse oder auch Dinge, die schieflaufen. Langsame Entwicklungen, die unsere Welt verändern, finden zu wenig Beachtung.
Anhand dieser empirischen Daten zum Rückgang der Armut können wir konkret zeigen, wie eine Berichterstattung über die globale Entwicklung aussehen würde. Die Schlagzeile würde lauten: „Die Anzahl der Menschen, die in extremer Armut leben, ist seit gestern um 130.000 gesunken.“ Diese Schlagzeile würden die Medien dann nicht nur einmal bringen, sondern tagtäglich — und das seit 1990, da seitdem im Durchschnitt täglich 130.000 Menschen der extremen Armut entfliehen konnten. Zieht man gar höhere Armutsgrenzen heran, sind die Zahlen noch beeindruckender. Dann wäre in der Schlagzeile täglich zu lesen, dass die Anzahl der Menschen, denen pro Tag über 10 $ zur Verfügung stehen, im vergangenen Jahrzehnt an jedem Tag um durchschnittlich eine Viertelmillion gestiegen ist.
Es ist möglich, Fortschritte im Kampf gegen die Armut zu machen – und es ist wichtig, sich das bewusst zu machen, denn auch nach 200 Jahren des Fortschritts ist Armut immer noch das größte Problem, mit dem wir auf der Welt kämpfen. Der Großteil der Weltbevölkerung lebt immer noch in Armut. Jeder Zehnte muss mit weniger als 1,90 $ pro Tag auskommen und zwei Drittel mit weniger als 10 $ pro Tag. In den reichen Industriestaaten gilt eine Person als arm, wenn er oder sie mit weniger als 30 $ pro Tag auskommen muss. Ziehen wir diese Definition von Armut heran, dann stellen wir fest, dass 85 % der Weltbevölkerung in Armut leben.1 Wir müssen viel mehr Fortschritte erzielen.
Alphabetisierung
Wie hat sich der Bildungsgrad der Weltbevölkerung über diesen Zeitraum hinweg verändert? Diese Grafik zeigt den zunehmenden Anteil der Weltbevölkerung, die lesen und schreiben kann. Der heutige Stand – auch in den aktuell reichsten Staaten – gehört zu den jüngsten Errungenschaften. Erst in den vergangenen zwei Jahrhunderten wurde es „normal“, dass alle lesen und schreiben konnten.
1820 war nur jeder Zehnte der über 15-Jährigen alphabetisiert, 1930 schon jeder Dritte. Heute erreichen wir weltweit einen Wert von 86 %. Anders ausgedrückt: Hätten Sie im 19. Jahrhundert gelebt, dann wären Sie mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein Analphabet gewesen. Heute können acht von zehn Menschen lesen. Unter der jungen Bevölkerung stehen die Chancen heute noch viel besser, da viele Analphabeten heutzutage betagt sind.
Wenn Sie denken, dass Wissenschaft, Technologie und politische Freiheit für die Lösung der größten Probleme, denen die Welt gegenübersteht, wichtig ist, und Sie meinen, dass es hilfreich ist, lesen und schreiben zu können, um diese Probleme zu lösen, dann werfen Sie einen Blick auf die absoluten Zahlen. Heute gibt es etwa 4,6 Milliarden Menschen, die des Lesens und Schreibens mächtig sind.2 1800 gab es nicht einmal 100 Millionen, die das beherrschten.
Gesundheit
Ein Grund dafür, weshalb wir keinen Fortschritt erkennen, ist, dass wir uns nicht im Klaren darüber sind, wie schlimm es in der Vergangenheit war.
In der Vormoderne starb rund die Hälfte aller Kinder (siehe hier). Die hier angegebene Grafik zeigt: 1800 waren die gesundheitsrelevanten Verhältnisse dergestalt, dass etwa 43 % der weltweit Neugeborenen vor dem 5. Geburtstag verstarben. Alten Schätzungen zufolge herrschten weltweit schlechte Voraussetzungen; die Bedingungen waren anderswo kaum besser. In allen Ländern starb mehr als jedes dritte Kind noch vor dem Erreichen des fünften Lebensjahres.
Es wäre falsch anzunehmen, dass die moderne Medizin der einzige Grund dafür ist, dass wir uns besserer Gesundheit erfreuen. Ursprünglich erhöhten zunehmender Wohlstand, Fortschritte im Gesundheitswesen, bessere Wohnverhältnisse wie auch verbesserte Hygienebedingungen und sanitäre Einrichtungen unsere Chancen auf einen Sieg im ewigen Kampf gegen Infektionskrankheiten. Gesündere Lebensmittel, die durch höhere Erträge und Produktivität im Agrarsektor und durch den Überseehandel zugänglich wurden, machten uns widerstandsfähiger gegen Krankheiten. Eine bessere Ernährung und verbesserte Gesundheit führten auch zu größerem Körperwuchs.
Wissenschaftlicher und medizinischer Fortschritt waren natürlich auch wichtig. Gut ausgebildete Menschen machten eine Reihe von wissenschaftlichen Errungenschaften, die die Sterblichkeitsrate sinken ließen und Krankheiten ausrotteten. Wegweisend war die sogenannte Keimtheorie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aus heutiger Sicht ist die Bedeutung dieser neuen Theorie kaum nachvollziehbar. Doch zu einer Zeit, in der sich Ärzte ihre Hände nicht wuschen und sich, nachdem sie etwa mit Leichen in Kontakt gekommen waren, einer Gebärenden widmeten, bewirkte die Keimtheorie endlich ein Umdenken. Unsere Vorfahren wussten nun, dass Sauberkeit und funktionierende Sanitäranlagen für die Gesundheit unabdingbar sind. Die Keimtheorie der Krankheiten legte das Fundament für die Entwicklung von Antibiotika und Impfstoffen und verhalf der Menschheit im ewigen Kampf gegen Mikroben endlich zum Sieg. Öffentliche Gesundheit spielt eine wichtige Rolle: Jeder gewinnt, wenn alle geimpft sind; alle gewinnen, wenn sich jeder an Hygieneregeln hält.
Diese Errungenschaften trugen in einem Maß zur Verbesserung der Weltgesundheit bei, die für unsere Vorfahren unvorstellbar war. 2017 sank die Kindersterblichkeitsrate auf 3,9 % und war damit zehnmal so niedrig wie noch 200 Jahre zuvor. Man muss weit genug zurückgehen, um zu sehen wie weit wir gekommen sind.
Diese Daten zur Kindersterblichkeit zeigen jedoch auch, dass Kindersterblichkeit heute noch ein riesiges Problem ist. Täglich sterben im Schnitt 15.000 Kinder.
Hier müssen dringend Fortschritte gemacht werden. Sie sind — wie wir aus der Vergangenheit wissen — auch möglich.
Freiheit
Politische Freiheit und Bürgerrechte sind das Herzstück der Entwicklung — sie sindsowohl Mittel als auch Zweck der Entwicklung.
Freie Presse und Meinungsfreiheit sind die Säulen, auf denen diese Freiheit ruht. Eine qualitative Bewertung dieser Faktoren birgt das Risiko, dass wir fälschlicherweise im Laufe der Zeit eine Einschränkung dieser Freiheiten wahrnehmen, während wir in Wirklichkeit nur die Messlatte höher ansetzen. Deshalb können quantitative Bewertungen recht nützlich sein, helfen sie uns doch denselben Maßstab für alle Länder und die jeweilige Zeit anzulegen.
Es wurden verschiedentlich Anstrengungen unternommen, die unterschiedlichen Regime, die in den Ländern dieser Welt herrschen, zu messen. Etwas so Komplexes wie ein politisches System zu erfassen, ist zwangsläufig problematisch. Daran ist nicht zu rütteln. In dieser Analyse stütze ich mich auf den Polity-IV-Index, da er der am wenigsten problematische aller Messgrößen ist, die eine langfristige Perspektive abbilden. Der Index ordnet die politischen Regime auf einer Skala von +10, für uneingeschränkte Demokratien, bis -10 für reine Autokratien, ein. Regime, die irgendwo in der Mitte des Spektrums angesiedelt sind, werden als Anokratien bezeichnet. Dazu habe ich Informationen über diejenigen Staaten aufgenommen, die von anderen Ländern als Teil eines Kolonialreichs regiert wurden.
Wieder möchte ich eine langfristige Perspektive geben, um eine Vorstellung davon zu geben, wie sich politische Freiheit im Laufe der vergangenen 200 Jahre verändert hat.
Die Grafik zeigt den Prozentsatz der Menschen, die von verschiedenen Regimen während dieser Zeit regiert wurden. Während des gesamten 19. Jahrhunderts lebte ein Drittel der Bevölkerung in Ländern, die von Kolonialregimes regiert wurden, und fast alle anderen lebten in autokratisch regierten Ländern. Die erste Ausdehnung der politischen Freiheit ab dem späten 19. Jahrhundert wurde von autoritären Regimen, die in vielen Ländern vor dem Zweiten Weltkrieg an die Macht kamen, niedergeschlagen.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich die Welt signifikant: Kolonialreiche gingen unter und immer mehr Länder wurden zu Demokratien. Der Anteil der Weltbevölkerung, der in Demokratien lebte, nahm kontinuierlich zu. Besonders wichtig war der Zusammenbruch der Sowjetunion, der zur Demokratisierung weiterer Länder führte. Heutzutage lebt mehr als jeder Zweite Mensch auf der Welt in einer Demokratie.
Die große Mehrheit der in einer Autokratie lebenden Menschen — 4 von 5 — leben in einer einzigen Autokratie: China.
Bevölkerung
Wenn Sie in einer der vorstehenden Grafiken auf „Relative“ klicken, wird Ihnen das Wachstum der Weltbevölkerung in den vergangenen 200 Jahren angezeigt. 1800 lebten etwa eine Milliarde Menschen auf der Welt; die Zahl hat sich seitdem versiebenfacht.
Das Wachstum der Weltbevölkerung sollte jedoch nicht nur Anlass zu Pessimismus geben. Zunächst einmal zeugt das Wachstum von einer großartigen Entwicklung, zeigt es doch, dass Menschen nicht mehr so jung sterben, wie dies bei unseren Vorfahren in den Jahrtausenden zuvor noch der Fall war.
In der Vormoderne war die Fruchtbarkeit der Frau hoch — fünf oder sechs Kinder brachte eine Frau normalerweise auf die Welt. Was das Bevölkerungswachstum eindämmte war die sehr hohe Sterblichkeitsrate, d. h. dass viele Kinder starben, bevor sie ein reproduktionsfähiges Alter erreichten. Die Weltbevölkerung nahm erst zu, als die Menschheit begann, den frühen Tod zu besiegen. Die Lebenserwartung verdoppelte sich weltweit.
Ein Bevölkerungszuwachs ist ein vorübergehendes Phänomen, das darauf zurückzuführen ist, dass Fertilitäts- und Sterblichkeitsrate nicht gleichzeitig abnehmen. Die Bevölkerung stieg schnell an, weil die Fertilitätsrate immer noch so hoch war wie zu Zeiten der unzuträglichen Lebensbedingungen, während die Sterblichkeitsrate bereits auf das niedrige Niveau unserer Zeit sank.
Was wir in den vergangenen 200 Jahren in einem Land nach dem anderen gesehenhaben ist Folgendes: Je unabhängiger, gebildeter und wohlhabender Frauen werden und je bewusster sie erkennen, dass Kindersterblichkeit abnimmt, desto weniger Kinder haben sie. Das schnelle Bevölkerungswachstum kommt zum Erliegen. Der Übergang von hoher Sterblichkeits- und Geburtenrate zu einem niedrigen Stand hin wird als demografischer Wandel bezeichnet. In denjenigen Ländern, die zuerst industrialisiert wurden, dauerte das mindestens von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Im Vereinigten Königreich dauerte es 95 Jahre bis die Geburtenrate von mehr als sechs Kindern auf weniger als drei Kinder pro Frau sank. In Ländern, die erst später industrialisiert wurden, fand dieser Wandel viel schneller statt. In Südkorea sank die Zahl der Kinder pro Frau von sechs auf weniger als drei in nur 18 Jahren. Im Iran passierte dies sogar in nur 10 Jahren.
So wie Länder diesen Wandel durchlaufen, so durchläuft ihn auch die Welt. Die weltweite Geburtenrate hat sich in den vergangenen 50 Jahren mehr als halbiert. Sie sank von mehr als fünf Kindern in den frühen 1960er Jahren auf heute weniger als 2,5 (siehe hier). Das bedeutet, dass die Welt bereits den demografischen Wandel durchläuft und die Wachstumsrate der globalen Bevölkerung schon vor einem halben Jahrhundert ihren Zenit überschritten hat.
Die Fertilitätsrate geht weltweit zurück; das Bevölkerungswachstum nähert sich dem Ende. Im Lauf des 20. Jahrhunderts hat sich die Weltbevölkerung vervierfacht; im Laufe dieses Jahrhunderts wird sie sich nicht verdoppeln. Am Ende des Jahrhunderts erwarten die Vereinten Nationen ein langsames Wachstum von 0,1 %, wobei die Demografen des IIA SA, des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse, bereits 2075 ein Ende des weltweiten Bevölkerungsanstiegs erwarten.
Bildung
Keine der Errungenschaften aus den vergangenen zwei Jahrhunderten wäre ohne Wissens- und Bildungsexpansion möglich gewesen. Der umwälzende Wandel unserer Lebensweise wurde nicht nur durch die Bildung vorangetrieben, sondern machte Bildung auch wichtiger denn je.
Im Gegensatz zu vielen anderen sozialen Aspekten, bei denen Vorhersagen nur bedingt von Nutzen sind, denke ich, dass Bildung ein Faktor ist, bei dem wir ein paar hilfreiche Prognosen erstellen können – aus dem einfachen Grund, dass uns die Bildung von heute etwas über die Bildung von morgen verrät. Eine gebildete junge Frau von heute wird 2070 eine gebildete alte Frau sein.
Wie wir bereits gesehen haben, hat sich der Bildungsgrad — legt man die fundamentalen Fähigkeiten wie Lesen und Schreiben zugrunde — bereits verbessert. Wir wissen, dass das anhalten wird, da die Kohorte mit den jüngeren Teilnehmer viel gebildeter ist als Menschen, die zu älteren Kohorten gehören.
Die Darstellung zeigt die Prognosen der Demografen des IIA SA hinsichtlich der Größe und des Bildungsgrads bis 2010. Es ist ein interessanter Blick in die Zukunft: Bei der heutigen niedrigen Fertilitätsrate erwarten die Forscher, dass die Anzahl von Kindern ab sofort zurückgehen wird. Nie mehr wird es auf diesem Planeten mehr Kinder als jetzt geben. Wie bereits erwähnt, erwarten die Forscher der IIA SA, dass die Weltbevölkerung 2070 ihren Zenit erreichen wird und später weiter zurückgehen wird.
Was die Bildungsstruktur anbelangt, heißt es in der Prognose, dass bis 2100 fast niemand mehr ohne formale Bildung sein wird und es mehr als 7 Milliarden geben wird, die mindestens über einen Mittelschulabschluss verfügen.
Angesichts der Bedeutung von Bildung für die Verbesserung der Gesundheit, der Stärkung der politischen Freiheit und den Sieg über die Armut sind diese Aussichten sehr ermutigend.
Warum wissen wir nicht, wie sich unsere Welt verändert?
Die Motivation für diese Geschichte der globalen Lebensbedingungen habe ich aus den Studienergebnissen genommen. Darin wurde die höchst negative Vorhersage zur weltweiten Entwicklung festgehalten, die die meisten von uns teilen. Mehr als 9 von 10 Menschen sind nicht der Meinung, dass sich die Welt bessert. Wie passt das mit dem empirischen Nachweis zusammen?
Ich denke nicht, dass man ausschließlich die Medien dafür verantwortlich machen kann, denke jedoch sehr wohl, dass sie einen Teil der Schuld dafür tragen müssen. Das kommt daher, dass die Medien uns nicht zeigen, wie sich die Welt verändert. Sie sagen uns, was schief läuft.
Ein Grund, weshalb sich die Medien auf Dinge stürzen, die nicht funktionieren, ist der: Sie legen ihren Schwerpunkt auf einzelne Ereignisse; und einzelne Ereignisse sind oft schlecht. Sehen Sie sich nur die Nachrichten an: Flugzeugabstürze, Terrorangriffe, Naturkatastrophen. Andererseits brauchen positive Entwicklungen ihre Zeit, gehen sehr langsam vonstatten und stehen nie in den Schlagzeilen.
Das Ergebnis eines Medien- und Bildungssystems, das es versäumt, quantitative Informationen über langfristige Entwicklungen zu bringen, ist Folgendes: Der Großteil der Menschen steht der weltweiten Entwicklung ignorant gegenüber und hat nur wenig Hoffnung, dass schwerwiegende Probleme überhaupt gelöst werden können.
Selbst über den Rückgang der globalen extremen Armut — in jeder Hinsicht eine der wichtigsten Entwicklungen zu unseren Lebzeiten — weiß nur ein Bruchteil der Bürger des Vereinigten Königreichs (10 %) oder der USA (5 %) Bescheid. In beiden Ländern denkt die Mehrheit der Menschen, dass die Anzahl der Menschen, die in extremer Armut leben zugenommen hat. Zwei Drittel der US-Amerikaner denken sogar, dass sich die Anzahl der Menschen, die in extremer Armut leben „beinahe verdoppelt“ hat. Wenn wir über grundlegende Fakten der globalen Entwicklung nicht Bescheid wissen, verwundert es nicht, dass nur Wenige die Hoffnung hegen, dass es mit der Welt bergauf gehen kann.
Die einzige Möglichkeit, eine Geschichte aller Menschen zu erzählen, besteht darin, Statistiken zu verwenden. Erst dann dürfen wir hoffen, einen Überblick über das Leben der 22 Milliarden Menschen, die in den vergangenen 200 Jahren gelebt haben, zu bekommen. Die Entwicklungen, die uns diese Statistiken aufzeigen, verändern unsere weltweiten Lebensstandards – langsam, aber sicher. Zu entnehmen sind sie dieser Online-Publikation Our World in Data, die mein Team und ich über die letzten Jahre hinweg aufgebaut haben. Wir erachten sie als eine Quelle, in der diese langfristigen Entwicklungen gespeichert werden und dadurch die Informationen aus den Nachrichten, die sich auf Ereignisse konzentrieren, ergänzen.
Der Schwierigkeit beim Erzählen der Geschichte über die Veränderungen im Leben aller Menschen, die in den letzten 200 Jahren diese Erde bewohnt haben, besteht darin, dass man sich nicht einzelne Geschichten herauspicken kann. Geschichten über einzelne Individuen sind viel spannender. Wir lieben solche Geschichten geradezu. Aber sie stehen nicht repräsentativ dafür, welche Änderungen die Welt erfahren hat. Um eine repräsentative Geschichte über die gesamten globalen Veränderungen zu verfassen, muss man sehr viele kleine Geschichten auf einmal erzählen. Und genau das tun Statistiken.
Um dir und auch mir das Verständnis für die geänderten Lebensbedingungen, die wir erreicht haben, zu erleichtern, habe ich eine zusammenfassende Grafik erstellt, in der ich diese 200 Jahre umspannende Geschichte in Form der Geschichte von 100 Menschen vorstelle, um zu sehen, wie deren Leben sich verändert hätte, wenn sie diesen Wandel in der modernen Welt durchlebt hätten. Sie zeigt zugleich einige der größten Probleme auf, mit denen wir konfrontiert werden, wie auch die Fortschritte, die die vergangenen Generationen gemacht haben.
Und es spielt doch eine große Rolle, wenn wir nicht Bescheid darüber wissen, wie sich unsere Welt verändert
Ein Mensch allein kann die Welt unmöglich verändern. Unsere Lebensbedingungen haben wir gemeinsam verändert. Für solch eine Revolution bedurfte es unseres kollektiven Gedächtnisses und unserer gemeinsamen Kraftanstrengung.
Trotzdem bleiben nach wie vor große Probleme, die es zu lösen gilt. Alles weiter oben Gesagte darf uns nicht dazu verleiten, uns selbstgefällig zurückzulehnen. Ganz im Gegenteil! Es gibt noch so viel zu tun. Die rasante Verringerung der extremen Armut ist eine wichtige Errungenschaft, aber die Tatsache, dass 85 % der Weltbevölkerung mit weniger als 30 $ pro Tag auskommen müssen, ist nicht akzeptabel. Auch dürfen wir nicht einfach Einschränkungen unserer persönlichen Freiheit hinnehmen, die nach wie vor bestehen oder uns neu auferlegt werden. Es ist ebenfalls klar, dass der Einfluss der Menschen auf die Umwelt ein Ausmaß erreicht hat, das alles andere als nachhaltig ist und die Biosphäre, sowie das Klima, von denen wir abhängen, aufs Spiel setzt.
Wir müssen dringend unseren Einfluss verringern. Bei Our World in Data findest du detaillierte Informationen zu den Umweltproblemen, mit denen die Welt konfrontiert wird.
Es ist keineswegs sicher, dass wir diese Probleme in den Griff bekommen werden. Es gibt kein „Ehernes Gesetz“, das dafür sorgt, dass sich unsere Lebensbedingungen auch weiterhin zum Guten verbessern werden. Langfristig gesehen ist jedoch klar, dass Fortschritte im Bereich des Machbaren liegen und wir uns in den vergangenen 200 Jahren in die glückliche Lage versetzt haben, Probleme lösen zu können. Probleme, und zwar große Probleme zu lösen, ist immer ein gemeinsamer Kraftakt. Die Gruppe von Menschen, die heute gemeinsam an einem Strang ziehen, ist so stark wie keine andere, die jemals diesen Planet bewohnt hat: Sie ist gesünder, wohlhabender und gebildeter.
Um aus unserer Geschichte Mut schöpfen zu können, müssen wir sie aber erst kennen(lernen). Es spielt nämlich eine sehr große Rolle, was wir selbst über unsere Vergangenheit und unser Leben wissen, denn unsere Hoffnungen und unser Streben nach einer besseren Zukunft sind untrennbar mit unserer Wahrnehmung der Vergangenheit verbunden. Deshalb müssen wir die Geschichte der Welt und die Entwicklung bis in unsere Gegenwart verstehen und auch teilen. Dieses Verstehen unserer eigenen Bestrebungen wie auch der unserer Mitmenschen ist eine wesentliche Voraussetzung für die gelungene Verwirklichung unserer Vorstellungen. Wenn wir uns dessen bewusst sind, dass wir die Lebensbedingungen bereits ein gutes Stück zum Besseren verändert haben und unsere Mühen für uns alle Früchte tragen, dann ist genau das für die Menschheit, was Selbstachtung für den Einzelnen ist: eine unabdingbare Voraussetzung für Wachstum und Verbesserungen.
Freiheit ist ohne freie Menschen schlicht undenkbar. Wenn wir uns unsere Entwicklung nicht vor Augen halten und stattdessen einem Irrglauben verfallen, laufen wir Gefahr, den Glauben an den Menschen zu verlieren.
Fußnoten
1 Die aktuellsten Daten können jederzeit unter dem Link auf die Poverty and Inequality Platform der Weltbank oder in unserem Data Explorer aufgerufen und eingesehen werden.
2 Es gibt etwa 5,4 Milliarden Menschen, die älter als 15 Jahre sind und von denen, wie die Grafik zeigt, 85 % nicht alphabetisiert sind.