Effektiver Altruismus: ArtikelMarch 02, 202300:12:208.5 MB

Die Welt ist schrecklich. Die Welt ist viel besser. Die Welt kann viel besser werden.

von Max Roser

von Max Roser

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Ursprünglich erschienen auf Our World in Data.

Die Welt ist schrecklich. Die Welt ist viel besser. Die Welt kann viel besser werden. Alle drei Aussagen sind gleichermaßen wahr.

Diskussionen um den Zustand der Welt konzentrieren sich zu oft auf die erste Aussage: In den Nachrichten wird über das berichtet, was schiefläuft; nur selten werden positive Entwicklungen erwähnt. 

Widersetzt man sich diesem Narrativ, führt das ins andere Extrem, das genauso schädlich ist. Nur von den Fortschritten auf der Welt zu berichten, nützt nichts, wirkt sogar abstoßend, wenn die wirklichen Probleme unserer Zeit außer Acht gelassen werden.

Es ist schwierig, nicht allein einer dieser Ansichtsweisen zu verfallen. Aber um zu erkennen, dass eine bessere Welt möglich ist, müssen wir einsehen, dass beides gleichermaßen wahr sein kann: Die Welt ist schrecklich und die Welt ist so viel besser, als sie es war.

Um dies zu verdeutlichen, möchte ich eine der größten Tragödien der Menschheit als Beispiel nehmen: den Tod von Kindern, wobei gleiches auch für viele andere Probleme der Welt gilt. Die Menschheit steht vor vielen Problemen, die im Laufe der Zeit besser wurden. Viele Probleme sind noch immer schrecklich, wobei wir wissen, dass die Dinge sich weiter bessern können.1

Die Welt ist schrecklich

Weltweit sterben 4,3 % aller Kinder vor ihrem 15. Lebensjahr. Diese Daten stammen aus dem Jahr 2020, neuere Daten sind nicht verfügbar.

Das bedeutet, dass jedes Jahr 5,9 Millionen Kinder sterben — 16.000 Kinder an einem durchschnittlichen Tag, 11 Kinder pro Minute.2

Offensichtlich ist eine Welt, in der jeden Tag tausende Tragödien passieren, schrecklich.

Die Welt ist viel besser

Die wichtigste Lektion der Geschichte ist, dass die Dinge sich ändern. Doch es ist schwer, sich vorzustellen, wie trostlos die Lebensumstände einst waren. Das macht es umso schwerer, zu begreifen, wie sehr die Welt sich verändert hat. 

Daten können helfen, diese Maßstabsänderung begreiflich zu machen. Laut historischen Schätzungen sind in der Vergangenheit rund 50 % aller Kinder gestorben, bevor sie die Pubertät erreichten.  Dabei machte es keinen Unterschied, wo das Kind geboren wurde. Dies hat sich erst im 19. Jahrhundert geändert, vor einigen wenigen Generationen.3

Es ist schwer vorstellbar, aber die Kindersterblichkeit in den am schlimmsten getroffenen Regionen ist heute viel geringer als zu jedem Zeitpunkt in der Vergangenheit. Selbst in den reichsten Ländern der Welt war die Kindersterblichkeit noch vor kurzer Zeit sehr viel höher. In Somalia, dem Land mit der heute höchsten Sterblichkeit, sterben ca. 14 % aller Kinder.4 Vor nur einigen Generationen war die Sterblichkeitsrate noch mehr als drei Mal so hoch, selbst in den reichsten Regionen der Welt.5

Aus unserer Geschichte lernen wir, dass es möglich ist, die Welt zu ändern. Leider sind Langzeitdaten über die veränderten Lebensbedingungen selten ein Schulthema und nur selten wird in den Medien darüber berichtet. Daher sind sich manche Menschen solch fundamental positiver Veränderungen in der Welt gar nicht bewusst.

Doch dieser Tatsache — dass es möglich ist, die Welt zu verändern und großartige Fortschritte für ganze Gesellschaftsgruppen zu erzielen — sollte sich jeder bewusst sein.

Die Welt kann viel besser werden

Der Fortschritt im Laufe der Zeit zeigt, dass es in der Vergangenheit möglich war, die Welt zu verändern. Doch wissen wir, ob wir diesen Fortschritt auch in Zukunft weiterführen können? Oder wurden wir vielleicht nur zu einem unglücklichen Zeitpunkt der Geschichte geboren, wo jeglicher Fortschritt zum Erliegen gekommen ist?

Werfen wir einen Blick auf die weltweiten Daten, so scheint die Antwort auf die letzte Frage „nein“ zu sein. 

Zum Beispiel könnte man die Regionen mit den aktuell besten Lebensbedingungen betrachten. Diese Regionen zeigen, dass extrem niedrige Kindersterblichkeit nicht nur möglich, sondern schon Wirklichkeit ist.

In der Europäischen Union (EU) haben Kinder die besten Überlebenschancen über das Kindesalter hinaus: 99,55 % aller in der EU geborenen Kinder überleben das Kindesalter.6

Um zu sehen, wie viel besser die Welt sein kann, können wir uns fragen, wie die Welt aussehen würde, wenn dies überall so wäre. Was, wenn es Kindern weltweit so gut gehen würde wie den Kindern in der EU? Dann würden jährlich fünf Millionen weniger Kinder sterben.7

Natürlich ist die Kindersterblichkeit in der EU noch immer zu hoch und es gibt keinen Grund, hieran nicht weiter zu arbeiten. Krebsleiden wie Leukämie und Hirntumore töten Hunderte von Kindern, sogar in den aktuell reichsten Ländern. Wir sollten versuchen, Wege zu finden, um diese tragischen Todesfälle zu verhindern.

Allerdings liegen die größten Chancen, den Schmerz und das Leid der Kinder zu verhindern, in ärmeren Ländern. Wir wissen nicht nur, dass die Dinge dort besser sein könnten, sondern auch, wie wir sie besser machen. 

Jeder kann die Forschung, wie die Welt ein besserer Ort werden kann, nutzen, um selbst zu dieser Entwicklung beizutragen. Ich empfehle, sich dabei auf Forschung zu stützen, die von der gemeinnützigen Organisation GiveWell veröffentlicht wurde. Das Team von GiveWell hat über Jahre die kosteneffektivsten Wohltätigkeitsorganisationen ermittelt, sodass jede Spende den größtmöglichen positiven Einfluss auf das Leben anderer hat. Einige der empfohlenen Wohltätigkeitsorganisationen stellen die Verbesserung der Gesundheit von Kindern in den Mittelpunkt und geben einem damit die Möglichkeit, zum Fortschritt im Kampf gegen Kindersterblichkeit beizutragen.

Forschung zur Verhinderung von Kindersterben und die Tatsache, dass die Kindersterblichkeit in manchen Weltregionen 10-mal geringer ist als der globale Durchschnitt, zeigen, was möglich ist. Wir können Millionen von Kindern vor dem Tod bewahren. Wir wissen, dass es möglich ist, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Die Welt ist schrecklich; deshalb müssen wir uns des Fortschritts bewusst sein

Es gibt immer ein Publikum für schlechte Nachrichten und es ist einfacher, Menschen Angst zu machen, als sie zum positiven Wandel zu ermutigen.

Es stimmt: wir müssen wissen, was in der Welt falsch läuft. Aber, bedenken wir das Ausmaß dessen, was wir bereits erreicht haben und was in der Zukunft möglich ist, finde ich es unverantwortlich, ausschließlich darüber zu berichten, wie ernst die Lage ist.

Zu sehen, dass die Welt ein besserer Ort geworden ist, bedeutet nicht, zu leugnen, dass wir vor sehr ernsten Problemen stehen. Ganz im Gegenteil: hätten wir das Beste aus allen möglichen Welten vereint, würde ich mein Leben nicht damit verbringen, zu erforschen und niederzuschreiben, wie wir es bis hierher geschafft haben. Es ist wichtig, zu sehen, wie die Welt zu einem besseren Ort geworden ist, weil sie trotz allem noch immer schrecklich ist.

Ich wünschte, wir könnten unsere Kultur ändern, sodass wir die Chance auf Fortschritt ernster nehmen würden. Dieses Problem ist lösbar: wir haben die Daten und die Forschung, nutzen sie aber momentan nicht. Die Daten lagern oft in schwer zugänglichen Datenbanken, die Forschung ist oft hinter Bezahlschranken versteckt oder in wissenschaftlichen Arbeiten unter Fachjargon begraben. Mit Our World in Data wollen wir das ändern. 

Wenn wir mehr Menschen dazu bewegen wollen, Zeit und Energie in die Verbesserung der Welt zu investieren, dann sollten wir das Wissen darüber verbreiten, dass es möglich ist, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. 

Dank: Ich danke Hannah Ritchie und Toby Ord für ihr Feedback.

Our World in Data stellt Daten und Forschung bereit, um Fortschritte bei der Bewältigung globaler Probleme zu machen.

Dies ist eine überarbeitete und aktualisierte Version, veröffentlicht im Juli 2022. Die erste Version dieses Textes wurde im Oktober 2018 veröffentlicht.

Der Text ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 International License.